Steering to Glory - Ein Tag im Leben eines 74-Kanonen Schiffes 1810

Begonnen von hwe, 09. November 2007, 23:28:11

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

hwe

Steering to Glory - A day in the Life of a Ship of the Line, von Nicholas Blake    

Titel:  Steering to Glory
Autor:  Nicholas Blake
ISBN:   1-86176-177-5
Format:   ca. DIN A 5 (etwas größer, normales Buchformat)
Seiten: 288 (+ 32 Seiten)
Illustrationen: ein paar
Bindung: Hardcover, Leinen, mit Schutzumschlag
Sprache:   Englisch
Preis ca. :  ca. zwischen 25 und 35 Euro, je nachdem, wo und wie man es sich besorgt






Beschreibung:  

"Steering to Glory" ist ein interessantes Werk, für all jene, die sich in den Bord-Alltag eines 74-Kanonen-Schiffes
der britischen Kriegsmarine im Jahre 1810 "einfühlen" wollen.

Das Buch handelt von einem fiktiven 74-Kanonen-Schiff, der "Splendid". - Das Schiff an sich ist deswegen fiktiv,
weil es die Splendid nicht gegeben hat. - "Technisch" hat sich der Autor die HMS Bellona als Basis hergenommen.
Die einleitende "Führung" durch das Schiff findet also auf der Bellona statt.

Es gab zu dem Zeitpunkt, an dem die "Handlung" spielt, Schiffe gleicher Bauart, die mit gleichen Aufgaben betraut
waren. Auch das Wetter stimmt.

Ansonsten ist das Buch fiktiv weil der Autor sehr viel reale Informationen zusammengetragen hat, was damals so
an Bord solcher Schiffe passiert ist. - Nachdem das alles auf lauter verschiedenen Schiffen, an verschiedenen
Orten, zu verschiedenen Zeiten passiert ist, kann man einfach nicht hergehen und ein reales Schiff benennen,
da viele der Details eben auf diesem Schiff dann nicht passiert sind und damit wäre die ganze historische Richtigkeit
beim Teufel.

Ergo hat der Autor lieber alle Geschichten "zusammengekratzt", die auch tatsächlich passiert sind und lässt sie
nun alle an einem einzigen Tag auf einem fiktiven Schiff geschehen. So viel ist nie an einem Tag auf einem
einzelnen Schiff passiert.

Der Schiffstyp an sich ist dagegen sehr gut bekannt. - Die 74er bildeten lange Zeit das "Rückgrat" der Britischen
Navy. Sie haben von diesem Typ insgesamt etwa 200 Schiffe gebaut und in Betrieb gehabt.

Die 74er galten lange Zeit als bestes Kriegsschiff überhaupt, denn sie vereinten viele positive Elemente in sich.
Sie segelte deutlich besser als zum Beispiel ein 100-Kanonen-Schiff, wie die Victory, da sie fast genauso lang, aber
bei weitem nicht so topplastig war. - Trotzdem hatte sie eine nur geringfügig niedrigere Feuerkraft.

Sie wurden mit der Absicht konstruiert, dass sie sich nicht vor einem Schiff 1ter Klasse (100 Kanonen) zurückziehen
sollten (die Idee dahinter lag in der Tatsache, dass bei vielen 100 (und mehr) Kanonen-Schiffen die unterste Batterie
häufig sowieso nicht nurztbar war, weil der Seegang zu hoch (oder die Luken zu niedrig über der Wasseroberfläche)
waren. - Ein bauartbedingtes Problem. - Die Victory galt als Ausnahme. - Sie war auch eine verhältnismäßig gute
Seglerin.

Gleichzeitig sollten sie aber auch Fregatten jagen können. - Jawohl! - Anfangs waren die 74er genauso schnell
wie Fregatten. - Bestes Beispiel hierfür ist wieder die Bellona, die bis zu 12 Knoten laufen konnte. - Normale
74er waren allerdings etwas langsamer. - 8-10 Knoten waren normal.

Die 74er waren häufig auch Flaggschiffe kleinerer Flottillen und ware oft und lange und viel im Blockade-Dienst
eingesetzt.

Das Buch besteht im wesentlichen aus 10 Teilen:

- einer Einleitung (9 Seiten)
- Einer "Einführung" in ein 74-Kanonen-Schiff. - Man bekommt dabei quasi so etwas wie eine "Führung" durch das
    Schiff, als wäre man ein neuer Kommandant, auf Inspektionstour durch das Schiff. (17 Seiten)
- danach folgt ein Kapitel für jede 4-Stunden-Wache, also 8 Kapitel.
- Als letztes ein umfangreicher Anhang (92 Seiten)

In dem Buch "erlebt" man in jeder Wache Dinge, von der Bilge bis in das Großtopp, vom Bugspriet bis in die
Kapitänskajüte, was so die ganze Zeit passiert.

Und das Beste ist: das alles hat sich niemand "ausgedacht", wie in einem Roman, sondern jedes Detail lässt sich
historisch belegen (deswegen der umfangreiche Anhang! ).

Damit kann man sich also sorgenfrei in das Buch versenken. - Es ist authentischer als jeder Roman!

Keine Bange, es ist auch nicht vollkommen "staubtrocken", denn es gibt eine Reihe von Darstellungen (meist
zeitgenössisch), die auch vieles visualisieren.

Der Einzige Wermutstropfen ist, dass das Buch nur auf Englisch erhältlich ist.


Fazit:  

Da ich mich zur Zeit sehr für das 74-Kanonen-Schiff und seine Zeit interessiere, ist das Buch für mich ein
"gefundenes Fressen". - Sicher es gibt etliche Bücher, die das Leben an Bord un zu der Zeit ebenfalls sehr schön
illustrieren, trotzdem ist bei den meisten anderen Büchern die Quellenlage nicht so klar wie hier.

Aus diesem Grund halte ich dieses Buch für ganz ausgezeichnet!

Wer mehr möchte, als einfach nur ein Schiffsmodell zusammen zu zimmern, findet hier eine fantastische Quelle
für Informationen aller Art.

Ein ähnliches Gegenstück findet man bestenfalls vielleicht in Boudriot's "The 74 gun ship", wobei die vier
Boudriot-Bände deutlich teurer sind (zu Recht! ) und sich natürlich auf die französische Marine beziehen.

Pros und Contras kurz zusammengefasst:

+ Sehr guter Einblick in das Leben an Bord eines britischen 74-Kanonen-Schiffes um 1810
+ Sehr zuverlässige Quelle
+ pure Fakten! - Belegt durch viele Zitate aus den Archiven der britischen Admiralität
+ Es ist sehr preiswert

- Es ist englisch
- Es ist zu kurz. - Dieses Buch dürfte von mir aus gerne noch ein Stück länger sein!

Von mir gibt es eine absolut uneingeschränkte Kaufempfehlung. - Ein "muss", für jeden, der sich ernsthaft mit
der britischen Kriegsmarine um 1800 beschäftigt und sich auch über das Leben an Bord ein Bild machen möchte.


Ciao,

HWE
:mariinee:

PS: Übrigens, hier ein Link zu einem weiteren Buch zu dem Thema, der HMS Bellona.

Edit: Nachdem ich die ersten 32 Seiten gelesen hatte, "verschluckte" sich das Buch plötzlich. - Das Kapitel endete etwas merkwürdig, fast im Satz und viele Erklärungen hatten keine Zeichnungen dazu. - Dafür ging es dann mit "Introduction" weiter... ?!?!? - Des Rätsels Lösung: Im Buch sind die ersten 32 Seiten doppelt enthalten. Kein großer Schaden für den Leser (aber für den Verlag). Ich hoffe nur, dass nicht an anderer Stelle dann 32 Seiten fehlen! - Ich halte euch auf dem laufenden!

Edit: ich habe den Text weiter oben meinem neuen Kentnisstand angepasst.

AnobiumPunctatum

ZitatEine 74er galt lange zeit als bestes Kriegsschiff überhaupt, denn sie vereinte viele positive Elemente in sich. Sie segelte deutlich besser als zum Beispiel ein 100-Kanonen-Schiff, wie die Victory, da sie fast genauso lang, aber bei weitem nicht so topplastig war. - Trotzdem hatte sie eine nur geringfügig niedrigere Feuerkraft.

Das beste Kriegsschiff überhaupt ist doch wohl immer noch das Kriegsschiff, welches nicht gebaut werden muss(te) ;)

Es gab bei den 74er enorme Unterschiede in Bewaffnung und Ausführung. Ich denke, dass man nicht alle über einen Kamm scheren sollte. Richtig ist, dass die 74er sehr erfolgreiche Kriegsschiffe waren und das Rückgrat der Marinen ihrer Zeit darstellten. In meinen Augen ist der Hauptgrund für ihren Erfolg aber eher im besseren Preis-Leistungsverhältnis im Verhältnis zu größeren Schiffen zu sehen.

Mit der Feuerkraft hast Du Dich verrannt. Kein 74er konnte es beim Breitseitengewicht mit einem Dreidecker I. Ranges aufnehmen. Zwar hat man die Batterien immer stärker bewaffnet, aber im gleichen Maße nahmen auch die Geschossgewichte auf einem Schiff I. Ranges zu.
:winken:  Christian

in der Werft: HMS Triton 1773, Maßstab 1/48

"Behandle jedes Bauteil, als ob es ein eigenes Modell ist; auf diese Weise wirst Du mehr Modelle an einem Tag als andere in ihrem Leben fertig stellen."

hwe

Hallo Christian,
Zitat
ZitatOriginal von AnobiumPunctatum
ZitatEine 74er galt lange zeit als bestes Kriegsschiff überhaupt, denn sie vereinte viele positive Elemente in sich. Sie segelte deutlich besser als zum Beispiel ein 100-Kanonen-Schiff, wie die Victory, da sie fast genauso lang, aber bei weitem nicht so topplastig war. - Trotzdem hatte sie eine nur geringfügig niedrigere Feuerkraft.
Das beste Kriegsschiff überhaupt ist doch wohl immer noch das Kriegsschiff, welches nicht gebaut werden muss(te) ;)
Das stimme ich dir voll und ganz zu! - Ich habe selbst immer wieder ein Problem damit, dass ich, als
absoluter Pazifist, Kriegsschiffe baue. - Deswegen kann ich auch nicht die Leute "verteufeln", die so gerne
Panzer, oder moderne Kriegsschiffe, oder Geschütze, oder U-Boote bauen. - Ich tu' es ja selbst auch!
Das muss also wohl irgendwo genetisch bedingt sein. ;)
ZitatEs gab bei den 74er enorme Unterschiede in Bewaffnung und Ausführung. Ich denke, dass man nicht alle
Das ist absolut richtig.
Zitatüber einen Kamm scheren sollte. Richtig ist, dass die 74er sehr erfolgreiche Kriegsschiffe waren und das Rückgrat der Marinen ihrer Zeit darstellten. In meinen Augen ist der Hauptgrund für ihren Erfolg aber eher im besseren Preis-Leistungsverhältnis im Verhältnis zu größeren Schiffen zu sehen.
Das "Preis-Leistungs-Verhältnis" war sicher der Hauptgrund für den breiten Einsatz. - Und da spielt das Thema "Leistung" eben doch eine deutliche Rolle mit... ;)
ZitatMit der Feuerkraft hast Du Dich verrannt. Kein 74er konnte es beim Breitseitengewicht mit einem Dreidecker I. Ranges aufnehmen. Zwar hat man die Batterien immer stärker bewaffnet, aber im gleichen Maße nahmen auch die Geschossgewichte auf einem Schiff I. Ranges zu.
Okay, ich gebe es gerne zu, ich habe da etwas übertrieben. Es ist schlicht und einfach eine Milchmädchenrechnung, einfach 26 Kanonen (13 für jede Breitseite) einfach abzuziehen und zu behaupten, das wäre nur ein Viertel der Feuerkraft weniger. - Die 74er hatten selbstverständlich auch stets leichtere Geschütze, so dass vermutlich eher nur 2/3 der Feuerkraft eines 100-Kanonen-Schiffes erreicht wurde.

Trotzdem war die Feuerkraft höher als bei so mancher Landarmee zu dieser Zeit.
Auch für Landungsoperationen konnten diese Schiffe eingesetzt werden. - Schliesslich befanden sich ja auch mehrere hundert Marine-Infanteristen an Bord. - So eine 74er stellte schon wirklich eine kleine Streitmacht dar.

Was noch bleibt, sind die Segeleigenschaften. Und da lagen die 74er eindeutig vorn, gegenüber einem 100 Kanonen-Schiff. - Sie hatten einen deutlich niedrigeren Schwerpunkt, eine fast gleiche Länge (Länge läuft...) und weniger Probleme mit Seitenwind, durch den niedrigeren Aufbau (ein Deck weniger). Ausserdem war sie bei fast gleicher Segelfläche (gut auch hier waren es einige Prozentpunkte weniger)
deutlich leichter. Diese Eigenschaften machten die 74er zu relativ leicht und angenehm zu segelnden Schiffen. Die 80er und 90 Dreidecker, die von der Admiralität noch lange mitgeschleppt wurden, waren
dagegen komplette Fehlentwicklungen. - So teuer wie ein 100 Kanonenschiff, aber nicht die Feuerkraft
und ziemlich fiese Segeleigenschaften. - Zu topplastig. - Laut einem Buch, dass ich erst kürzlich gelesen
habe, konnte man für einige dieser Schiffe kein Wetter finden, das ruhig genug war, damit sie ihre untersten Stückpforten überhaupt öffnen konnten!

Wie dem auch sei, das Buch ist Klasse, vor allem weil ich mich mit dem Thema "74er" zur Zeit intensiver beschäftige. Ich kann es nur jedem empfehlen!

Ciao,

HWE
 :mariinee:

hwe

Hi! - Kurzer Hinweis, ich habe inzwischen mehr Zeit gehabt in dem Buch zu lesen und so habe ich den obigen Text ein wenig "korrigiert".

Ciao,

HWE
:mariinee: