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Tarnstoff 1:1

Begonnen von Hans, 09. August 2014, 19:52:52

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Hans

Bereits vor einigen Jahren zeigte mir ein mittlerweile verstorbener Kollege aus dem Museum ein Fotoalbum seines Vaters, der aktiv am Ersten Weltkrieg beteiligt war. Er war bei Kavallerie, Infanterie und bei den Motortruppen. Das Album und die Erzählungen waren hoch interessant, auch wenn sich kein Zusammenhang mit der Fliegertruppe ergab.

Bis in die Mitte des vorherhigen Jahrhunderts war es gebräuchlich (weshalb auch immer), Fotos auf ein Stück Stoff zu kaschieren, bevor dies wiederum im kartonierten Album eingeklebt wurde. Die Fotos waren in diesem Album durchgängig, wie fast immer aus dieser Zeit, Kontaktabzüge, keine Vergrösserung. Der Abzug war also so gross wie das Negativ, heute würde man sagen, Mittelformat.

Bei der Durchsicht des Albums fiel auf, dass sich einige Bilder vom Karton gelöst hatten. Der damalige Kleber war ein Zellstoffkleber, nichts schlechtes, ist auch heute noch in Verwendung (Papierkleber, Bastelkleber etc).

Der kaschierte Stoff erregte meine Aufmerksamkeit. Dickes, relativ grob gewebtes Leinen, seltsame Farbe.

Bei genauer Hinsicht, stellte ich fest, dass es sich um kleine Stücke von Flugzeug-Tarnstoff handelte, 5-Farbe, Unterseite, Massenproduktionsware. Es war völlig unklar, wie der Vater meines Kollegen an ihn herangekommen war und weshalb er ausgerechnet ihn verwendet hatte.

Der Stoff war fleckig und mit Klebstoff völlig durchzogen, der teils sich in blättrigen Schichten löste.

Ich versuchte zuerst, ob der Klebstoff mit Aqua Dest. und etwas Tensid sich lösen liess. Fehlanzeige. Nach Besprechung mit unserer Restaurateurin kamen wir zum Ergebnis, den Klebstoff manuell mit dem Skalpell zu entfernen, da wir nicht wussten, wie die Färbung des Stoffes auf härtere Kaliber reagiern würden. Seitdem sass ich immer wieder an den Stücken und zupfte Klebstoff ab. Letzte Woche aber traf ich mich mit einem alten Freund, Farbenhistoriker und Spezialist für unmögliche Fälle. Auch er hat derzeit Tarnstoff zur Restauierung liegen. Jetzt kamen wir zum Ergebnis, dass die Azo-Farben des Stoffdruckes unempfindlich gegenüber Ketonen sein müssten, also auch Aceton. Das wars dann, denn der natürliche Feind von Zellstoffklebern (auch Spannlack) ist das Aceton. So, nun Ende der Story. Hier nun endlich das Bild, etwas links um eine grüne Fläche verkleinert, damit ich im zulässigen Bildmass bleibe. Ach ja, wie sich dann herausgestellt hat, passen die beiden Stücke, die ich erbettelt hatte, auch noch genau zusammen.



Der Stoff war nie mit Spannlack in Berührung gekommen, der Zellstoffkleber ist zwar sehr ähnlich, war aber nicht ins Gewebe eingedrungen. Der Stoff ist vom Farbton her also so wie von der Rolle gekommen. Azo-Farbstoffe sind extrem lichtecht, sie verändern sich kaum, und ohne UV schon noch weniger.

Auf dem Flugzeug, mit komplett durchdrungenem Spannlack (der völlig klar war) wurden die Farben intensiver. Ich hab hier mal um 30% zugelegt, nur als Ansicht.



Der Scan ist 1:1, man kann so die Fadenanzahl / Stärke etc gut ablesen. Wenn ich jemand erwische, der die Bilder ohne Rücksprache mit mir verwendet, dem reiss ich die Nasenhaare einzeln aus.

H.
Ceterum censeo: Die Lackierung ist wichtiger

FlyingCircus

#1
Ohrenhaare sind auch gut.  :1:

Hans, da hast Du ja einen tollen Fund gemacht.  :P  :winken:

,,Ich weiß, dass Sie glauben, Sie wüssten, was ich Ihrer Ansicht nach gesagt habe. Aber ich bin nicht sicher, ob Ihnen klar ist, dass das, was Sie gehört haben, nicht das ist, was ich meinte." Alan Greenspan

Lynx

Viele Grüße
Hermann

Wolf

Flugzeug und Farbenarchäologie at it's best  :P

Danke fürs zeigen.
Wer Future hat, hat noch lange keine Zukunft

Russfinger

DAS ist mal ein Fund!
Gratulation.
Interessant finde ich vor allem die Struktur des Stoffes, die ich als überraschdend "grobporig" empfinde. Aber vielleicht musste das so sein, um den Spannlack aufzusaugen...
Schreibe ich jetzt mal so ... als Laie....

:winken:

Russie


No Kit left behind!

Universalniet

Wirklich genial ... was für ein Glücksfund

Album + loses Bild + WWI Kenner !!!

Primoz

Wow! 8o Das ist wirklich bemerkenswert! :9:
Das Leben ist eine sexuell übertragbare unheilbare Krankheit mit tödlichem Ausgang

Kohlenklau

Hallo

Sehr interessant, vor allem hätte ich mir den verwendeten Stoff nicht SO grobmaschig vorgestellt!

Btw, wer von euch kann mir eigentlich die Frage beantworten welche Sorten Holz zur Herstellung der deutschen Flugzeuge aus dieser Zeit vorzugsweise Verwendung fanden?
Ich orakele immer noch ob es da generell Unterschiede zu dem für Spanten und Beplankungen verwendeten Holz gegeben hat.

Gruß Bernhardt

Wolf

Wenn ich mich recht entsinne, war es Birkensperrholz (Beplankung)
Wer Future hat, hat noch lange keine Zukunft

malicieux

Hi!
Das die Beplankung  Birke war hab ich auch so in Erinnerung, ansonsten sollte die Flugwerft Oberscheissheim da Auskumnft geben können.
Wäre für die nicht auch das Stoffmuster und seine Geschichte interessant?

M.

Joker

Wow Geschichte zum Anfassen! Danke für's Zeigen  :P
Viele Grüße, Jens :-)

Kohlenklau

Dank euch, Modellboard hier werden sie geholfen.... :D
Eine Frage aber bleibt.Waren die Spanten und die Rumpfgerüste aus dem gleichen oder gar härterem Holz?

Grus Bernhardt

Hans

Klassisch waren es Birkensperrholz für Beplankung und langfaserige Hölzer für Spanten, Rippen und Träger. Also Kiefer, Esche etc. Im WK I auf deutscher Seite kam neben Birke aber auch andere, schwerere oder empfindlichere Sperrhölzer zum Einsatz, einfach aus Materialgründen.

Im englischen gibts den Spruch "made from spruce and linen", auch wenn ziemlich viel "cotton" zum Einsatz kam.

H
Ceterum censeo: Die Lackierung ist wichtiger

Flugwuzzi

 :P Äußerst interessante und spannende Geschichte ... auf der Rückseite von WWI Fotos gefunden ... Sachen gibts!  :D

lg
Walter
DAS GEHEIMNIS DES ERFOLGES IST ANZUFANGEN. (Mark Twain)

Primoz

Gut, dass es ein Kenner in die Krallen bekommen hat! :6: In der Händen eines Dilettanten wäre das wertlos.
Das Leben ist eine sexuell übertragbare unheilbare Krankheit mit tödlichem Ausgang